Neue Rechtsprechung des EuGH zum Verfall und der Verjährung von Urlaubsansprüchen

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat in drei Fällen, die aus Deutschland kommen entschieden, dass die Verjährung bzw. der Verfall von Urlaubsansprüchen eine vorherige Aufforderung des Arbeitgebers voraussetzt, die den Arbeitnehmer in die Lage versetzt, seinen Urlaubanspruch auszuüben.

In den ersten zwei Fällen handelte es sich jeweils um langzeiterkrankte Arbeitnehmer, die über 15 Monate lang ihrer Tätigkeit nicht nachgehen konnten. In beiden Fällen hatten es die Arbeitgeber unterlassen den Arbeitnehmer darauf hinzuweisen, dass deren Urlaubsansprüche nach 15 Monaten, also an dem 31.03. verfallen werden.

Der EuGH entschied dazu, dass wenn dies der Arbeitgeber unterlässt, der Urlaubsanspruch des Arbeitnehmers auch nach 15 Monaten nicht erlischt:

„Es obliegt dem Arbeitgeber, den Arbeitnehmer in die Lage zu versetzen, seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub auszuüben […]. Insoweit hat, anders als im Fall der Ansammlung von Ansprüchen auf bezahlten Jahresurlaub durch einen Arbeitnehmer, der aus Krankheitsgründen daran gehindert war, diesen Urlaub zu nehmen, der Arbeitgeber, der einen Arbeitnehmer nicht in die Lage versetzt, seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub auszuüben, die sich hieraus ergebenden Folgen zu tragen […].

Folglich können die Mitgliedstaaten nicht von dem Recht, das in Art. 7 der Richtlinie 2003/88 und in Art. 31 Abs. 2 der Charta verankert ist, abweichen, wonach ein erworbener Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub nach Ablauf des Bezugszeitraums und/oder eines im nationalen Recht festgelegten Übertragungszeitraums nicht erlöschen kann, wenn der Arbeitnehmer nicht in die Lage versetzt wurde, seinen Urlaub zu nehmen […]“ (EuGH, Urteil vom 22.09.2022 C‑518/20 und C‑727/20).

Ein weiterer Fall der vom EuGH entschieden wurde, handelte von einer Arbeitnehmerin, die im Jahr 2018 auf Abgeltung ihrer Urlaubstage aus den Jahren 2013 bis 2017 klagte. Der Arbeitgeber berief sich dabei auf die Regelverjährung von drei Jahren. Dem stimmte der EuGH jedoch nicht zu. Nach Ansicht des EuGH kann der Anspruch nur verjähren, wenn der betreffende Arbeitnehmer tatsächlich die Möglichkeit hatte, diesen Anspruch rechtzeitig auszuüben.

„[Es] ist festzustellen, dass es, wenn ein Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht tatsächlich in die Lage versetzt hat, seinen in einem Bezugszeitraum erworbenen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub wahrzunehmen, über dasjenige hinausgeht, was zur Gewährleistung der Rechtssicherheit erforderlich ist, wenn auf die Ausübung dieses in Art. 31 Abs. 2 der Charta verankerten Anspruchs die in § 195 BGB vorgesehene regelmäßige Verjährung Anwendung findet“ (EuGH, Urteil vom 22.09.2022, C‑120/21).

Es empfiehlt sich daher für den Arbeitgeber, seine Mitarbeiter stets auf den Verfall der Urlaubsansprüche hinzuweisen, um seiner Obliegenheit nachzukommen und so dafür zu sorgen, dass die Urlaubstage des Arbeitnehmers tatsächlich verfallen bzw. verjähren können.