Die Abmahnung – Teil 2

Im Beitrag des letzten Monats „Die Abmahnung – Teil 1“ ging es darum, wie man eine Abmahnung formuliert. In diesem Beitrag soll darauf eingegangen werden, in welchen Fällen der Arbeitgeber auf eine Mahnung verzichten und direkt kündigen kann.

Grundsätzlich greift im Kündigungsrecht das sog. Ultima-Ratio-Prinzip, d.h. dass der Arbeitgeber seinem Arbeitnehmer nicht bereits beim ersten Fehlverhalten kündigen kann. Stattdessen ist dieser abzumahnen, weil dies ein milderes Mittel darstellt. Wird ein Verhalten abgemahnt, welches durch den Arbeitnehmer steuerbar ist, so ist grundsätzlich davon auszugehen, dass durch die Abmahnung das zukünftige Verhalten des Arbeitnehmers positiv beeinflusst wird. Das BAG führte in einem Urteil aus, dass eine Abmahnung nicht nötig ist für die Fälle, in denen 

„eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten steht oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich – auch für den Arbeitnehmer erkennbar – ausgeschlossen ist.“

(BAG, Urt. v. 23.1.2014 – 2 AZR 638/13)

Im Leistungsbereich kann sich dies ergeben, wenn z.B. der Arbeitnehmer über seine tatsächlich geleistete Arbeitszeit täuscht oder wiederholt unentschuldigt fehlt. Weiterhin kann auch das private Surfen im Internet eine Kündigung rechtfertigen, wenn dies vom Arbeitgeber ausdrücklich verboten worden ist. Selbiges gilt für das Computerspielen während der Arbeitszeit und das Herunterladen einer erheblichen Menge an Daten aus dem Internet auf das Betriebssystem des Arbeitgebers, vor allem, wenn es sich dabei um strafbare oder pornografische Darstellungen handelt.

Es sind auch Störungen im betrieblichen Bereich denkbar, die dem Arbeitgeber das Recht zur Kündigung geben, ohne vorher abmahnen zu müssen. Es geht also um die Verletzung von Vorschriften, die das Verhalten der Arbeitnehmer untereinander regeln. In einem Fall, den das Arbeitsgericht Siegburg im letzten Jahr zu beurteilen hatte, ging es um einen Arbeitnehmer, der seinen Kollegen auf Toilette vorsätzlich einschloss, so dass dieser sich nicht befreien konnte, ohne dabei die Toilettentür eintreten zu müssen. Das Gericht sah darin eine schwere Verletzung seiner arbeitsvertraglichen Pflichten und hielt eine Kündigung für gerechtfertigt (ArbG Siegburg, Urt. V. 11.2.2020 – 5 Ca 1397/20).

Zuletzt sind auch Pflichtverletzungen denkbar, die den Vertrauensbereich betreffen. Es handelt sich dabei um Vorfälle, in denen der Glaube des Arbeitgebers an die Lauterkeit, Loyalität oder Aufrichtigkeit seines Arbeitnehmers nicht mehr aufrechterhalten werden kann. Dies kann sich z.B. durch Geschäfts- oder Rufschädigung des Arbeitgebers ergeben, indem der Arbeitnehmer öffentlich zur Schädigung des Arbeitgebers aufruft oder nicht haltbare Vorwürfe über seine Rechtsuntreue in die Welt setzt. Es ist jedoch zu berücksichtigen, dass ein schwerwiegender Pflichtverstoß des Arbeitnehmers im Vertrauensbereich dann nicht eine sofortige Kündigung, sondern erst eine Abmahnung erfordert, wenn der Arbeitsnehmer sich durch jahrelange beanstandungsfreie Arbeit ein Vertrauenskapital erworben hat. In einem vom Bundesarbeitsgericht zu beurteilenden Fall, handelte es sich um eine seit 30 Jahren im Supermarkt arbeitende Kassiererin, die ihr nicht gehörende Pfandbons mit einem Wert von 1,30 € zu ihrem Vorteil einlöste. Das Gericht entschied, dass es sich hierbei um eine schwerwiegende Verletzung des Vertrauens handelt, da die Kassiererin in vorsätzlicher und rechtswidriger Weise das Vermögen des Arbeitgebers verletzte, obwohl sie eine Pflicht zur Rücksichtnahme hatte. Hat das Arbeitsverhältnis jedoch über viele Jahre hinweg ungestört bestanden, bedarf es einer genauen

Prüfung, ob die dadurch verfestigte Vertrauensbeziehung der Vertragspartner durch eine erstmalige Enttäuschung des Vertrauens vollständig und unwiederbringlich zerstört werden konnte.

(BAG, Urt. V. 10. 6. 2010 – 2 AZR 541/09)

Im Fall der Kassiererin konnte dies nicht angenommen werden. Dem Arbeitgeber ist daher auch zu empfehlen bei Auftreten von Pflichtverstößen von Seiten seiner Arbeitnehmer, diese auch tatsächlich abzumahnen, damit auch kein Vertrauenskapital aufgebaut werden kann, welches den Arbeitgeber dann zu einer vorherigen Abmahnung zwingen müsste.

Abschließend muss noch gesagt werden, dass eine Abmahnung oder Kündigung nur dann zulässig sind, wenn dadurch dem Arbeitnehmer kein unverhältnismäßig großer Nachteil entsteht und die Erteilung der Mahnung oder Kündigung nicht durch weniger schwerwiegende Maßnahmen kompensiert werden könnte.